Wiefelspütz sprach sich aber dafür aus, "dass man da ran kann, wenn es wichtige Gründe gibt". Daher müsse man darüber diskutieren, "was denn da eigentlich so privat ist" im Online-Bereich und "was das Schlafzimmer im Internet" sei.
Ach, Politiker und ihre Realitätsverdreherei. Auch wenn man versucht ist, simple Unwissenheit als Ursache für derart weltfremde Zweckanalogien anzunehmen, darf das nicht von der zunehmenden Gefahr für Bürgerrechte (die die "freiheitliche Demokratie" mit definieren) ablenken.
Man kann doch "da ran, wenn es wichtige Gründe gibt" - und das schon seit jeher. Hinreichender Tat- oder Gefährdungsverdacht, richterlicher Beschluß, Hausdurchsuchung, Rechnerbeschlagnahme und -auswertung. Basta. Man braucht auch nicht darüber spekulieren, was "im Online-Bereich privat sei" - das ist der Rechner und sein Inhalt. Den hat sein Besitzer ja garantiert nicht uneingeschränkt in "den Online-Bereich" stellen wollen. Wie sein Tagebuch, seine Bankauszüge, seine Liebesbriefe und von mir aus sogar seine Wichsvorlagen ist auch der Festplatteninhalt erst mal per se privat; das ist ja nicht automatisch gleichbedeutend mit "legal".
Sowas braucht man nicht aufzuweichen; im (belegbaren sowie von Willkür oder ungezielter Massendurchleuchtung abgegrenzten) Verdachtsfall kommen die Strafverfolgungsbehörden bei Bedarf auch mit herkömmlichen Mitteln auch an so ziemlich alles, was als privat deklariert wird.
Es muss einen daher mit großer Sorge erfüllen, wenn die Definition grundgesetzlicher Werte wie die Unverletzbarkeit der Wohnung, der Privatsphäre etc. immer wieder von neuem mit Stammtisch-Begründungen wie Pädophilieverfolgung oder Terrorismusbekämpfung infrage gestellt wird.
Denn der nächste Schritt ist leicht vorhersehbar: wenn erst mal eine Hintertür am Grundgesetz vorbei in die Privatsphäre oder Wohnung (BTW: wie definiert sich eigentlich die in einer zunehmend (teil-)virtuellen Welt?) geöffnet wird, die auf der Neudefinition solcher Begriffe aufsetzt - dann kann man natürlich auch die bisherigen Bürgerrechte qua Präzedenzfall ausser Kraft setzen. Wenn ich erst mal unerkannt und - vor allem! - in Massen Mails oder Online-Bankkonten ausspähen darf: wie lange wird es dann noch dauern, bis einer die Analogie erkennt und von jedem Bürger - am besten noch auf dessen Kosten - die vorbeugende Hinterlegung eines Zweit-Wohnungsschlüssels beim Einwohnermeldeamt zwecks Routinedurchsuchungen nach dessen Ermessen verlangt?
Auch neue Pseudo-Rechte wie das auf "informationelle Selbstbestimmung" sind doch nur Volksverdummung. Was hilft's mir, wenn mir irgendwer theoretisch Informationen über die von mir gesammelten Daten erteilen müsste - wo ich gar nicht weiss, dass es ihn gibt, wer er ist und bei wem ich dieses Recht also geltend machen könnte? Und wer berücksichtigt, dass ich diese Informationen gar nicht erst erhoben, zusammengeführt und in (missbrauchbare) Profile und Scores umgewandelt haben will?
So ist denn auch der finale Schritt zu einer Totalüberwachung nur noch ein ganz kleiner. Früher haben wir ja auch mal gedacht, es würde sich schon kein Bösewicht so sehr für den eigenen Privatrechner interessieren, dass er sich stundenlang hinhockt und am besten per Akustikkoppler versucht, die Zugangsdaten für ein womöglich eh leeres Bankkonto herauszufinden - was aber, wenn das gar kein Aufwand mehr wäre? Wenn Bot-Netze in kurzer Zeit und rund um die Uhr Millionen von Rechnern scannen, angreifen oder missbrauchen? Tja, so sieht die Klicki-Bunti-Welt aber mittlerweile aus...
Immer neue Exploits belehren einen da eines Besseren: wenn die Massensuche nach ungeschützten Rechnern, Access-Points und den dahinterliegenden Daten nicht mal mehr 14-jährige Scriptkiddies überfordert, wird's nebenher zum Zeitvertreib gemacht. Dem Staat mit seinen Ressourcen fällt Ahnliches noch viel leichter (ohne dass gleichzeitig auch nur genug Kompetenz vorjanden wäre, um alleine schon die Beschädigung persönlicher Rechte durch Bedienungsfehler abzufangen). So ein vielleicht auch bloss ein bißchen gelangweilter oder neugieriger Beamter (oder einer, dem der Besitzer des angesprochenen Rechners am letzten Wochenende die Freundin ausgespannt hat) muss nicht mal die Online-Kosten tragen. Die bezahlt im der Bürger mit seinen Steuern, also wir.
Also wird Derartiges auch vergleichsweise schnell IRL geschehen. Und wenig später wird es dann nur noch heissen "das ist halt Vorschrift, da kann ich auch nichts machen.
Schon vor veinigen Jahrzehnten habe ich - andere Erscheinungsformen, aber dasselbe Problem - erregte Diskussionen mit meinem Vater zu ähnlichen Themen geführt. Rasterfahndung, Verschärfung der Landfriedensbruchgesetze, Ausspionierung der privaten Meinungsäußerungen von Lehrern - all das hat mich als jungen Menschen umgetrieben, während der "Generation Papa" dazu schon damals nichts Besseres als "wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" eingefallen ist.
Nun: man braucht nicht mal die vielbemühte "jüngere deutsche Geschichte" (obwohl die durchaus dafür geeignet ist) heranzuziehen, um die Unsinnigkeit und Gefährlichkeit solcher Stammtischparolen zu illlustrieren. Da reichen schon einfachere Vorstellungen: was ich mit meiner Freundin im Schlafzimmer treibe oder am Frühstückstisch über Bekannte diskutiere, ist keineswegs illegal - trotzdem empfände ich den unkontrollierten Transport von beidem aus unseren vier Wänden heraus durchaus als etwas, das man zu "befürchten" hat. Und wenn man mal mitbekommen hat, wie dankbar selbst durch theoretische Vertraulichkeitsvereinbarungen gebundene Angestellte wie Steuerfachgehilfen, Buchhalter o.ä. Tratschthemen über gemeinsame Bekannte aufgreifen, wird auch klar, weshalb - da bedarf es gar keiner kafkaesken Horrorszenarien. Obwohl die dann auch nicht mehr fern wären.
Mein Vater wird heuer 70. Der hat die Brisanz schon lange eingesehen; die satte Selbstgerechtigkeit des "wer nichts zu verbergen hat..." ist ihm heute sehr peinlich. Unsere Herren (und Damen) Politiker, genauer Parteipolitiker, die sich immerhin über Leben und Zukunft des in ihren Augen ja doch nur dummen Stimmviehs zu entscheiden anmaßen, sind von diesem (erfahrungsmäßigen wie auch moralischen) Reifegrad noch sehr weit entfernt