Ein sehr gelungener Artikel aus der Zeit:
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Darf ein Scientologe den Widerstandskämpfer Stauffenberg verkörpern?
Prominentes Scientology-Mitglied, der Schauspieler Tom Cruise
»Sicher ist die Frage erlaubt«, schreibt der Spiegel, »ob ein Star wie Tom Cruise noch alle Tassen im Schrank hat, wenn er in der bizarren Sci-Fi-Kirche der Scientologen mental auftankt.« Die gleiche Frage könnte man an Madonna und Kollegen richten, die einer profitablen Pop-Version jüdischer Mystik (»Kabbala«) anhängen und mit rotem Armbändchen das »Böse Auge« abwehren wollen. Sicher ist auch, dass Scientology kein selbstloser Verein ist, sondern mit allerlei Techno-Unfug wie dem »EMeter« für viel Geld das Heil feilbietet. Ähnliches tun Familienaufsteller, Handaufleger und Management-Consultants aber ebenfalls.
Richtig ist schließlich, dass der Bendlerblock in Berlin ein säkulares Heiligtum der Nation ist – und Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine ihrer strahlenden Ikonen. Und jetzt, empört sich Sohn Berthold, soll Tom Cruise als »bekennender Scientologe meinen Vater spielen«? Und ausgerechnet dort, wo die Männer des 20. Juli hingerichtet wurden?
Schon einmal wurde Cruise aus Berlin vertrieben – als er in der Reichstagskuppel Mission: Impossible drehen wollte. Jetzt ergrimmt sich der Hausherr des Bendlerblocks: Dieser »Ort der Trauer« eigne sich nicht als »Filmkulisse«. Bloß hielt sich die Trauer vor vier Jahren in Grenzen, als dort ein deutscher Stauffenberg gedreht wurde – just an dem Ort, der jenseits der Feierstunden dem profanen Treiben einer Bundesbürokratie gehört.
Des Pudels Kern ist also nicht das »Was?«, sondern das »Wer?«, und da ist wiederum eine andere Frage erlaubt: Ist der Glaube, egal, wie durchgeknallt, Sache des Staates? Schärfer formuliert: Der Testfall aller Liberalität tritt just dann auf, wenn sie von Menschen beansprucht wird, die wir nicht mögen. Zum Beispiel, weil sie einer »Sekte« oder einem »Kult« angehören, denen wir das Gütesiegel einer »echten« Religion verweigern.
Warum so verbissen? Die probate Antwort lautet: Scientology krallt sich die Schwachen, die Unglücklichen, um sie zu unterwerfen. Aber ist es des Staates Aufgabe, die Leute vor ihrer eigenen Blödheit zu bewahren? Da würde aus dem liberalen schnell ein Überstaat, der nicht die Freiheit, sondern seine eigene Macht schützte. Ansonsten bietet das Strafgesetzbuch reichlich Möglichkeiten, um Terror, Ausbeutung und Unterschleif zu ahnden – und solche Prozesse gegen Scientology gab es zuhauf in Amerika und Europa. Aber bestraft wird in einem liberalen Rechtsstaat nicht das Glauben, so idiotisch es auch sein mag, sondern das Tun. Was hat Tom Cruise eigentlich getan, um ihm den Dreh zu verweigern, der anderen gewährt wurde? Seit wann fragen wir Schauspieler, wen oder was sie anbeten?
Dieser Staat hat sich nach 1945 in ein mustergültiges liberales Gemeinwesen verwandelt; es braucht den inneren Feind nicht, um sich seiner selbst zu vergewissern. Lassen wir Cruise sein »E-Meter« und Madonna ihr rotes Bändchen. Zeigen wir Tom Cruise, dass dieser Staat sich in seiner Gelassenheit Lichtjahre von dem Staat entfernt hat, der einen Mann wie Stauffenberg hinrichten ließ.