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EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE
Aus Liebe zum "G"
Von Hauke Goos, Spiegel Online
Wie Diebe am helllichten Tag eine Autofabrik plündern
Ausriss aus "Der neue Grazer/Der neue Steirer"
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Ausriss aus "Der neue Grazer/Der neue Steirer"
Der Strickpullover, dem Herwig Sorger den Fall seines Lebens verdankt, ist beige, mit einem breiten bordeauxroten Streifen auf der Brust. Ein Lkw-Fahrer trägt ihn, als er bei einer Zulieferfirma für Autoteile gerade ein paar Felgen klauen will. Es ist Sorgers Glück, dass den Fahrer eine Überwachungskamera dabei filmt.
Herwig Sorger ist Polizist des Gendarmeriepostens Kalsdorf bei Graz. Es ist ein kleiner Posten, Sorgers Leben besteht aus Einbrüchen, Unfällen, Verkehrsverstößen. Jemand, der Felgen mitgehen lässt, ist für die Kalsdorfer Polizei eine Herausforderung.
Der Lkw-Fahrer ist rasch identifiziert. Als Polizisten in seiner Wohnung den auffälligen Strickpullover finden, setzt Sorger sich mit dem Mann zu "ernsten Gesprächen" zusammen.
Er sei ein "Gerechtigkeitsfanatiker", sagt Sorger von sich. Er war 16, als er sich für die Polizei entschied, und auch nach 20 Dienstjahren hat seine Begeisterung nicht nachgelassen. Dass jemand Felgen, die ihm nicht gehören, nachts auf einen Laster lädt, stört seinen Ordnungssinn.
Der Lkw-Fahrer nennt drei Männer, die ihm das Diebesgut abgenommen haben. Einer ist ein ehemaliger Autohändler, der in Graz ein riesiges Haus besitzt, eine lokale Größe. Bei der Durchsuchung entdecken die Beamten neben Felgen, Achsen und Türen auch Teile vom Mercedes G, einem Geländewagen, der bei Magna Steyr in Graz gebaut wird.
Es handelt sich um Prototypteile, Zubehör für Versuchsfahrzeuge, eine komplette Rohkarosse - Teile, an die Autofahrer normalerweise nicht herankommen.
Unter Fans gilt der Mercedes G als das beste Geländeauto der Welt. Sie schwärmen von der Achsverschränkung und der dreifachen Differentialsperre, die den Wagen auch in schwerstem Gelände noch beweglich halten, sie loben die kantigen Formen und preisen das Untersetzungsgetriebe.
Wenn sie vom Mercedes G sprechen, nennen sie ihn zärtlich den "G". Der "G" kostet in der einfachsten Version um die 65 000 Euro; wer glaubt, mit weniger als acht Zylindern nicht auskommen zu können, ist rasch bei 100.000 Euro. Vom Steuer des G sieht man auf die anderen Autofahrer herunter.
Sorger lädt den Autohändler zum Verhör. Er hat 48 Stunden Zeit, um herauszufinden, woher die Prototypteile stammen, danach muss er den Verdächtigen ans Untersuchungsgefängnis abgeben.
Sorger mahnt, Sorger lockt. Es ist der erste richtige Kriminalfall seiner Karriere, er will ihn nicht verlieren. Auf der Kalsdorfer Wache gibt es im Keller zwei Zellen: WC, Bett, Gitterstäbe, wie im Fernsehen. Drei Stunden vor Ablauf der Frist gibt der Autohändler auf. Es gebe eine Verbindung ins Magna-Steyr-Werk, sagt er, lange schon. Viele seien daran beteiligt. Dann nennt er Namen.
Plötzlich geht es nicht mehr um Felgen. Es geht um Hehlerei, um Magna Steyr, mit rund 9200 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Graz, größter Automobilhersteller Österreichs. Es geht ums Ganze.
Sorger bittet einen Kollegen um Unterstützung. Er selbst fährt einen Opel Sintra, der 190.000 Kilometer auf dem Tacho hat, vor fünf Jahren gebraucht gekauft. Die G-Fans, sagt man ihm, seien eine verschworene Gemeinschaft. Er ahnt, dass er Hilfe benötigen könnte.
Wochenlang arbeiten die beiden an dem Fall, 17, 18 Stunden am Tag. Jeder, den Sorger und sein Kollege Wolfgang Ulrich besuchen, nennt andere, die an dem Diebstahl beteiligt sind; Magna Steyr hilft mit Namen und Adressen. Jede Vernehmung bringt weitere Geständnisse, bis Sorger begreift, wohin einen die Liebe zum Auto bringen kann. Einer hatte 20 Lichtmaschinen bei sich zu Hause versteckt, ein anderer Zubehör für 125.000 Euro beiseite geschafft: Türen, Motoren, Motorhauben, Reifen. Ein Dritter baute sich aus gestohlenen Teilen fast ein komplettes Auto zusammen.
Sie hatten es leicht: Kleinteile trugen sie am Körper versteckt aus dem Werk, bei den sperrigen Teilen half ein Pförtner, dem sie wohl Geld boten: Der Mann winkte die Lkw, beladen mit Türen, Motorhauben, Reifen, Karosserien, Motoren oder Kotflügeln, einfach durch.
Ende 2006, heißt es, soll die Produktion des Mercedes G eingestellt, der Klassiker durch ein Nachfolgemodell ersetzt werden. Im Grazer Werk wird schon aufgeräumt. Aus Liebhaberei, behaupten die Diebe, hätten sie die Versuchsteile vor der Verschrottung gerettet. Sie zeigen keinerlei Unrechtsbewusstsein. Es klingt, als müssten sie ein Kulturdenkmal vor dem Abriss bewahren.
3000 verschiedene Artikelnummern zählt die Polizei am Ende, Fahrzeugteile im Gesamtwert von 700.000 Euro. Die Summe ist auch deswegen so hoch, weil sich die Diebe, darunter Abteilungsleiter, Projektleiter, Hallenleiter, bald auch im Neuteilelager bedienten.
55 Personen werden wegen Diebstahls und Hehlerei angezeigt, einige von ihnen sind 20 Jahre und länger bei Magna Steyr gewesen - so ein Fall, sagt Sorger, passiere einem Polizisten nur einmal im Leben.
Sorger und sein Kollege erhielten eine öffentliche Belobigung und eine Urkunde.
Magna Steyr spendete 1000 Euro - für in Not geratene Gendarmeriebeamte.